Die neue Rolle der In­ter­essen­ver­tre­tung

Die neue Rolle der Interessenvertretung

„So können individuelle Rechte gestärkt und die Erfahrungen und das Prozesswissen der Beschäftigten besser genutzt werden. Akteure der betrieblichen Mitbestimmung übernehmen dann verstärkt beratende Funktionen und befähigen die Mitarbeitenden zur selbstbestimmten Gestaltung ihrer Arbeit.“

„So können individuelle Rechte gestärkt und die Erfahrungen und das Prozesswissen der Beschäftigten besser genutzt werden. Akteure der betrieblichen Mitbestimmung übernehmen dann verstärkt beratende Funktionen und befähigen die Mitarbeitenden zur selbstbestimmten Gestaltung ihrer Arbeit.“

Aufgrund der hohen technischen Komplexität und der Schnelllebigkeit der neuen digitalen Lösungen stoßen Interessenvertretungen bei der Gestaltung Guter digitaler Arbeit jedoch immer häufiger an ihre Kapazitätsgrenzen. Durch die gezielte Einbindung bisher ungenutzter Wissensressourcen oder die Realisierung temporärer und projektbezogener Kooperationsstrukturen kann die etablierte Gremienarbeit unterstützt und die Gestaltungskompetenz der Mitglieder bei der Begleitung des digitalen Wandels in den Betrieben erhöht werden.

Sachverständige

Auch das Einbinden von externem Know-how kann die Arbeit der Gremien unterstützen. Denn diese müssen in der Lage sein, technische, organisatorische, soziale und individuelle Entwicklungen richtig einzuschätzen, Lösungsansätze zu entwickeln und im Dialog mit der Arbeitgeberseite tragfähige Kompromisse zu finden. Das Vertretungsgremium ist nach § 80 Abs. 3 BetrVG berechtigt, für die Durchführung seiner Aufgaben Sachverständige hinzuzuziehen, bei denen es sich bspw. um Rechtsanwälte, Technologieexperten oder Arbeitsmediziner handeln kann. Der Betriebsrat muss allerdings im Rahmen einer Ermessensentscheidung berücksichtigen, ob diese Einbindung unbedingt erforderlich ist. Zudem muss die Hinzuziehung in einer formalen Vereinbarung mit dem Arbeitgeber näher geregelt werden. Auch wenn in vielen Fällen die Hinzuziehung eines externen Sachverständigen zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite unstrittig ist, fehlt oft der Überblick über die relevanten Experten und Beratungsdienstleistungen in den verschiedenen Handlungsfeldern betrieblicher Digitalisierungsprozesse. In diesem Zusammenhang könnten die handelnden Akteure auch von einem stärkeren überbetrieblichen Austausch profitieren.

MEHR

Nutzen interner Wissensressourcen

In einer hochkomplexen und sich stetig wandelnden digitalen Arbeitswelt gilt es ferner, interne Wissensressourcen für die Betriebs- und Personalratsarbeit zu erschließen. Dies gilt vor allem in Bezug auf den unmittelbaren Nahbereich der Arbeit, d.h. die Beteiligung an Entscheidungen über die Nutzungsbedingungen der individuellen Beschäftigtenressourcen. Im Rahmen eines solchen Beteiligungsansatzes werden etablierte Mitbestimmungsstrukturen nicht ersetzt, sondern durch partizipative Elemente ergänzt. So können individuelle Rechte gestärkt und die Erfahrungen und das Prozesswissen der Beschäftigten besser genutzt werden. Akteure der betrieblichen Mitbestimmung übernehmen dann verstärkt beratende Funktionen und befähigen die Mitarbeitenden zur selbstbestimmten Gestaltung ihrer Arbeit.

Partizipation an temporären Kooperations-strukturen

Viele Digitalisierungsprojekte zeichnen sich dadurch aus, dass eine Vielzahl unterschiedlicher Arbeitsprozesse reorganisiert und neu aufeinander abgestimmt werden. Bei der Gestaltung des Wandels besteht deshalb die Gefahr, dass die betrieblichen Interessensvertretungsstrukturen überfrachtet werden. Bewährt haben sich ein sozialpartnerschaftlich aufgebauter Rat der Anwender für die Einbindung verschiedener Beschäftigtengruppen in die konkrete Ausgestaltung von Digitalisierungsprojekten und die Verankerung der Ergebnisse im Gesamtunternehmen. Solche kooperativen Ansätze können die Akzeptanz und Effektivität der neuen Systeme erhöhen. Dies wirkt sich wiederum positiv auf den Erfolg des Transformationsprozesses aus. Ebenso wie bei der Stärkung individueller Partizipationsformen sollten temporäre Kooperationsprojekte nicht als Ersatz, sondern vielmehr als Ergänzung etablierter Gremienarbeit verstanden werden, um der hohen Komplexität und Vielschichtigkeit des digitalen Wandels in den Betrieben gerecht zu werden.

Überbetriebliche Vernetzung und Wissenstransfer

Schließlich hat sich gezeigt, dass die Betriebs- und Personalräte verschiedener Organisationen und Branchen bei der Begleitung des digitalen Wandels häufig vor ganz ähnlichen Problemen stehen. Vernetzungs- und Plattformfunktion der Gewerkschaften gewinnen hier erheblich an Bedeutung. Weitere Instrumente des zwischenbetrieblichen Wissenstransfers können u.a. auf die Streuung von Erfahrungen bei der Erprobung bestimmter Digitalisierungslösungen oder die Gewinnung geeigneter externer Sachverständiger für spezifische Beratungsaufgaben abzielen.

Die digitale Transformation partnerschaftlich gestalten

Auch wenn die fortschreitende Digitalisierung neue legislative Regelungsbedarfe hervorbringt, können viele Herausforderungen schon unter den heutigen Rahmenbedingungen auf betrieblicher Ebene gelöst werden. Eine erfolgreiche digitale Transformation der Arbeitswelt ist dann am wahrscheinlichsten, wenn Unternehmen und Beschäftigte sie partnerschaftlich gestalten und die Ideen und Bedürfnisse beider Seiten berücksichtigt werden. Im deutschen System der sozialen Marktwirtschaft haben sich die Instrumente der verfassten Mitbestimmung bei der Bewältigung von Krisen und strukturellen Umbrüchen wiederholt bewährt und sollten deshalb auch bei der Gestaltung der Arbeit von morgen eine Schlüsselrolle einnehmen.

Relevante Mitbestimmungstatbestände bei der Gestaltung des digitalen Wandels

Das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) und die jeweiligen Personalvertretungsgesetze definieren den Kernbereich betrieblicher Mitbestimmung bei der Gestaltung des digitalen Wandels. Die Mitbestimmungsrechte und -pflichten der Betriebs- und Personalräte umfassen dabei die Regelung sozialer, personeller und wirtschaftlicher Angelegenheiten. Außerdem die Gestaltung von Arbeitsplatz, -ablauf und -umgebung. Von zentraler Bedeutung ist in diesem Zusammenhang insbesondere § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG, der den Betriebsräten bei der Einführung von technischen Lösungen ein Mitbestimmungsrecht gewährt, wenn diese eine individualisierte Verhaltens- und Leistungskontrolle ermöglichen. Weitere Mitbestimmungspflichten können sich u.a. aus einer zeitlich und räumlich entgrenzten Arbeitsorganisation (§ 87 Abs. 1 Nr. 2), Veränderungen im Bereich der Aus- und Weiterbildung (§§ 96-98), bei der Benennung von Datenschutzbeauftragten (§ 99) oder der Anpassung von Arbeitsverfahren (§ 90) ergeben. Aufgrund dieser Mitbestimmungstatbestände kann eine umfassende Digitalisierung von Arbeitsprozessen in der Regel nur dann erfolgen, wenn Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite erfolgreich miteinander kooperieren.

Betriebs- und Dienstvereinbarungen als zentrales Gestaltungsinstrument

Die Vielzahl der Herausforderungen bei der Regelung mitbestimmungspflichtiger Fragestellungen spiegelt sich in der Gestaltungsvielfalt von Betriebs- und Dienstvereinbarungen wider. Themenbereiche sind hier Technikeinsatz, Arbeitszeit, Gesundheitsschutz oder Arbeitsorganisation. Das meistverbreitete Thema der betrieblichen Vereinbarungen ist mittlerweile der Datenschutz. Knapp zwei Drittel der Betriebe haben laut WSI-Betriebsrätebefragung 2015 ein gültiges Abkommen zu diesem Thema, wovon jedoch fast 30 Prozent erst nach 2014 abgeschlossen wurden. Auch Fragen flexibler Arbeitszeitgestaltung oder psychischer Belastungen am Arbeitsplatz haben erheblich an Bedeutung gewonnen. Zukünftig wird es bei der Aushandlung von Betriebs- und Dienstvereinbarungen noch relevanter werden, Herausforderungen in den Bereichen Arbeitsbelastung, Gesundheits- und Datenschutz anzunehmen und integrierte Lösungen zu entwickeln.

Mitbestimmungsrechte nach BetrVG im Kontext des digitalen Wandels

Bei der Festlegung kollektiver Regelungen zu Arbeitszeit und -ort geraten Betriebs- und Personalräte verstärkt in ein Spannungsverhältnis zwischen den unterschiedlichen Flexibilitätsbedürfnissen der Beschäftigten auf der einen Seite und der Schaffung von Schutzmechanismen zur Eindämmung von Arbeitsverdichtung und Überlastungserscheinungen auf der anderen Seite.

Durch die hohe technische Komplexität der neu zu implementierenden Systeme reichen die vorhandenen Kompetenzen der handelnden Akteure häufig nicht aus, um die Folgen des digitalen Wandels für die betrieblichen Arbeitsprozesse zweifelsfrei zu antizipieren. Defizite bei der Beurteilungsfähigkeit technischer Lösungen werden dadurch verstärkt, dass es sich bei der Digitalisierung von Arbeit um ein Quer-schnittsthema handelt, das von der Aus- und Weiterbildung bis hin zum Arbeitsschutz unterschiedlichste Aufgabenbereiche der betrieblichen Mitbestimmung berührt.

Schließlich müssen Betriebs- und Personalräte feststellen, dass ihnen durch die Implementierung flexibler Arbeits- und Organisations-strukturen sowie die Auslagerung bestimmter Tätigkeiten auf externe Anbieter vermehrt die Ansprechpartner vor Ort abhandenkommen. Dies betrifft die Arbeitgeberseite ebenso wie die Beschäftigten. Zudem fehlen die unmittelbaren Handlungs- und Gestaltungbefugnisse, wenn etwa wesentliche Teile der Verarbeitung von Beschäftigtendaten im Ausland erfolgen.

Erweiterter Handlungskreis der Betriebs- und Personalratsarbeit bei der Gestaltung des digitalen Wandels

Gesundheitliche Gefährdungen durch digitale Lösungen

Neben den klassischen Mitbestimmungstatbeständen gibt es eine Reihe weiterer Handlungsfelder, auf denen Betriebs- und Personalräte den digitalen Wandel in ihren Organisationen mitgestalten können. Die Instrumente umfassen dabei sowohl gesetzlich verbriefte Beteiligungsformen wie die Initiierung von Gefährdungsbeurteilungen, als auch weichere Ausprägungen von Betriebs- und Personalratsarbeit wie z.B. die Nutzung partizipativer Elemente. Kennzeichnend für den digitalen Wandel ist ein sich verschärfender Rollenkonflikt für Betriebs- und Personalräte. Ihre Funktion wird zukünftig stärker durch beratende und befähigende Elemente gekennzeichnet sein und darauf abzielen, die Beschäftigten bei der selbstbestimmten Gestaltung ihres Arbeitsumfelds zu unterstützen. Betriebs- und Personalräte agieren in diesem Zusammenhang nicht nur als Vertreter von Beschäftigteninteressen gegenüber der Arbeitgeberseite, sondern übernehmen zusätzlich eine moderierende Funktion beim Ausgleich der Interessen unterschiedlicher Beschäftigtengruppen hinsichtlich neuer Formen der Arbeitsorganisation und -flexibilität.

Nutzung des Instruments der Gefährdungsbeurteilung

Um die Auswirkungen neuer technischer Systeme auf die Arbeitsprozesse innerhalb eines Betriebes möglichst genau abschätzen zu können, ist ein umfassendes Verständnis potenzieller Belastungen und Gesundheitsgefahren von zentraler Bedeutung. Das Arbeitsschutzgesetz mit dem Instrument der Gefährdungsbeurteilung (§§ 5, 6 ArbSchG) bietet ein Rechtsmittel für Unternehmen und Beschäftigte, um gesundheitsgefährdende Arbeitsbelastungen über einen partizipativen und prozessualen Ansatz zu erkennen und zu minimieren. Allerdings kommt diese gesetzliche Auflage in Bezug auf die psychischen Belastungen nur in rund einem Viertel aller Unternehmen zum Einsatz. Wirksame Gefährdungsbeurteilungen zeichnen sich jedoch gerade durch ihren partizipativen Charakter und die direkte Einbindung der Beschäftigten aus.

Förderung individueller Gestaltungskompetenz

Die Aktivierung der Beschäftigten kann jedoch nur gelingen, wenn diese bei der Entwicklung ihrer Gestaltungskompetenz aktiv unterstützt werden. Dies betrifft besonders den Erwerb von Basiswissen in den Bereichen Arbeitsgestaltung, Ergonomie und Regeneration sowie die Förderung der individuellen Reflexions- und Diskursfähigkeit. Betriebs- und Personalräte sollten darauf hinwirken, dass frei werdende Kapazitäten im Zuge der Digitalisierung nicht nur zur Rationalisierung von Arbeitskräften genutzt, sondern in die Kompetenzentwicklung und Gestaltungsfähigkeit der Beschäftigten investiert werden. Konkrete Ansatzpunkte bieten die Einführung individueller Weiterbildungskonten oder die Realisierung von Qualifizierungs-Teilzeitmodellen. Eine partizipative Unternehmenskultur stellt vor diesem Hintergrund einen immer wichtiger werdenden Wettbewerbsfaktor dar, der ungenutzte Wissensressourcen erschließt, das Unternehmen für Arbeitnehmende attraktiver macht und die Bindung der Beschäftigten an das Unternehmen stärkt.

Kernbereich und erweiterter Handlungskreis der Betriebs- und Personalratsarbeit

Betriebs- und Personalräte müssen einen strategischen Prozess zur Begleitung des digitalen Wandels einleiten!

Nutzen des Instruments der Gefährdungsbeurteilung unter der Bedingung, dass die individuellen Beschäftigteninteressen intensiv in den Entscheidungsprozess eingebunden werden.
Aktivieren interner Wissensressourcen durch die Erhöhung der Gestaltungs-kompetenz aller Beschäftigten, die Etablierung partizipativer Elemente und die Digitalisierung von Betriebs- und Personalratsarbeit.

Etablieren temporärer Kooperationsstrukturen zur Begleitung technologischer Transformationsprozesse.

Ausbauen der überbetrieblichen Vernetzung und des Wissenstransfers zwischen verschiedenen Akteuren der Interessenvertretung und den Betrieben.